Wege zur Meisterschaft: Die Karriere des Abegg Trios

Süddeutsche Zeitung 25.9.1993 / Joachim Kaiser

Vor 17 Jahren, also 1976, fanden sich kurz vor ihren Konzert-Examen drei Musiker zusammen, die mit ernsten Absichten und höchstem Genauigkeitsstreben beschlossen, ein Klavier-Trio zu gründen. Das Abegg Trio. Die Abegg-Variationen sind bekanntlich Schumanns Opus 1 fürs Klavier-Solo, über den musikalischen Namen A-b-e-g-g, wie eine gewisse Meta Abegg eben hieß, der Schumann sein geniales Gesellenstück widmete.

Danach also nannte sich, seltsamerweise, das Trio. Es besteht aus drei Musikerpersönlichkeiten von Rang: dem klug, prägnant und bewußt spielenden Pianisten Gerrit Zitterbart, der auch fesselnde Einspielungen Beethovenscher Solo-Sonaten vorlegte, aus der temperamentvollen, blühend und passioniert musizierenden Cellistin Birgit Erichson und aus dem ebenso virtuosen wie grundsoliden Geiger Ulrich Beetz, den die Probleme historischer Aufführungspraxis während seines Studiums intensiv beschäftigten.

Im Lauf der Jahre hat sich das Trio allmählich einen großen Bezirk klassischer, romantischer, zeitgenössischer und auch ganz unbekannter Kammermusik-Literatur erschlossen. 1985 war eine Gesamt-Edition der Mozart-Trios fertig, 1988 war der ganze Beethoven bewältigt worden, 1990 hatte man alle Brahms-Trios eingespielt.

Die letzten, jüngsten Einspielungen gelten Dvorák. Das B-Dur-Trio Opus 21 und das e-Moll-Trio Opus 90, das »Dumky-Trio«. Sie sind meisterhaft. Nicht nur schwungvoll pointiert, sondern mit pastosem, sattem Ton gespielt. Diese jungen Musiker nehmen die Notentexte, die Ergebnisse der Forschung ungemein ernst. Sie wollen nicht harmlos oder gefühlsselig Kammermusik machen: sondern Interpretationen von Gewicht, Aggressivität, Präzision und größter innerer Wahrhaftigkeit herausbringen. Darum, so verrieten sie beim freundschaftlichen Fachsimpeln, wagen sie sich an die größten Werke ihrer Literatur, nämlich an die beiden unvergleichlich bedeutungstiefen und schönen Schubert-Trios, erst ganz zuletzt. Sie wollen ihnen dann wirklich gewachsen sein.

Hier ist also ein Klaviertrio seit gut anderthalb Jahrzehnten auf dem Weg. Ich verfolge diesen Weg seit langem mit Sympathie - und nunmehr mit ehrlicher Bewunderung. Die Aufnahmen der letzten Jahre lassen deutlich werden, daß den Abeggs nach ehrenwerten, schönen Anfangsleistungen nun noch ein Qualitätssprung geglückt ist, der sie an die Spitze gebracht hat, weil sie Musik so ernstnehmen, so wenig selbstzufrieden sind, immer wieder miteinander grübeln und diskutieren.

Manchen frühen Aufnahmen war vielleicht noch anzumerken, daß die jungen Musiker, um dem wohlfeilen, fettigen Pathos auszuweichen, etwas zu konstruktiv, klarheitsbedacht und kühl musizierten. Jetzt aber haben sie ihr Pathos gefunden - ein schlankes, vehementes, blühendes Pathos. Jetzt gehören sie zu den führenden Kammermusikvereinigungen der Gegenwart. Sind homogen und solistisch-virtuos zugleich. Und dabei neugierig, bereit zu Ausgrabungen auch von längst vergessener Kammermusik, wie beispielsweise des witzig-gelehrten Klaviertrios in G-Dur von Friedrich Kiel (1821-1885).

Obwohl das Abegg Trio sich mit seinem Namen auf Schumann beruft, scheinen die Schumann-Interpretationen nicht unbedingt zu den allerbesten Leistungen dieses Trios zu gehören. (Vielleicht, weil gerade die Schumann-Einspielungen schon so relativ früh entstanden. Immerhin, im Duett, »Langsam, und mit Ausdruck«; aus den Phantasiestücken für Klavier, Violine und Violoncello Opus 88 meistert das Abegg Trio zart, zurückhaltend, ohne Süßlichkeit, aber gleichwohl schwärmerisch und voller Noblesse Schumanns erhabene Lyrik. Am Ende fällt dann wieder jener tiefe Schumann-Schatten aufs Tonbild - und uns schauert im Herzensgrunde. Es gehört sehr viel Stilgefühl, Takt und Kunst dazu, solcher Musik gerecht zu werden: man darf sie nicht verzärteln, aber auch nicht ihren schwermütigen Seelenton unterdrücken. Dem Abegg Trio gelingt das.

Und wie steht es mit den Klassikern? Joseph Haydns unfaßlicher Originalität ist neben dem klassischen Streichquartett und der klassischen Symphonie auch die Entstehung des »klassischen« Klavier-Trios zu danken! Zwar hat das Cello bei Haydns Trios nicht den Gleichheitsrang, der ihm später bei Beethoven, Brahms und Dvorák zuwachsen wird. Das Abegg Trio spielt Haydn wirklich nicht von oben herab (Papa Haydn), sondern blühend expressiv. Das Cello nimmt ausdrucksvoll teil, auch wenn es solistisch überhaupt nicht glänzen darf. Faszinierend gelingt der Kopfsatz aus Haydns populärem G-Dur-Trio, einer Aufnahme, die zu Beginn der 90er Jahre entstand, also erst jüngsten Datums ist. Die Musiker wissen und bedenken wohl, daß bei Haydn und Mozart die Tempo-Angabe »Andante« etwas Rascheres bedeutet als später im 19. Jahrhundert.

Haydns G-Dur-Trio stammt ja genau aus jenen 90er Jahren des 18. Jahrhunderts, in denen Haydn einen recht unbequemen, selbstbewußten Schüler namens Beethoven unterrichtete, der als sein Opus 1 Nr. 1 ein Es-Dur-Klavier-Trio komponierte und es übrigens nicht Haydn widmete, der vielleicht stolz darauf gewesen wäre, sondern dem Grafen Carl von Lichnowsky. Kraftvoll imponiert der Kopfsatz von Opus 1 Nr. 1, ein Es-Dur-Allegro, das gleich mit einer sogenannten »Mannheimer Rakete« losgeht.

Da ist ein Kammermusik-Ensemble zusammengewachsen, das Schwung, Professionalität und wirkliche seelische Übereinstimmung verbindet. Ein Trio ersten Ranges, berufen, die große Kammermusik-Literatur lebendig zu halten.

An Temperament, an Rasse, an musikantischer Unbedingtheit fehlt es den Abegg-Leuten wahrlich nicht: das demonstriert die von aller Verschmiertheit und Süßlichkeit freie Leidenschaft, mit der sie das Dumky-Trio von Dvorák hinlegen. Diese Künstler, die - wie ihre Brahms-Interprationen lehren - geradezu fanatisch nachdenken, verbessern, an sich arbeiten, haben sich trotz alledem eine ganz spontane Neugier und Spielfreude bewahrt.  

Joachim Kaiser