Dokumentation eines langen Weges

 Neue Zürcher Zeitung - Phono-Spektrum 29.9.1999 / Thomas Schacher

Das Abegg-Trio beim Label Tacet

Nach dreiundzwanzig Jahren seines Bestehens hat sich das Abegg-Trio im Konzertleben und auf dem Schallplattenmarkt einen gesicherten Platz erworben. Seit 1998 ist das Ensemble beim Label Tacet unter Vertrag, bei dem inzwischen um die 20 Compact Discs erschienen sind. Sie dokumentieren die künstlerische Entwicklung des Trios von 1984 bis heute.

Nomen est omen: Die Abegg-Variationen von Robert Schumann standen Pate bei der Wahl des Namens. Das Ensemble hat das Klavierwerk nicht etwa in ein Klaviertrio verwandelt, aber mit der Namenwahl wollten die drei Spieler Schumann und seinem Schicksal die Reverenz erweisen. So erstaunt es nicht, daß sie bereits 1984 Schumanns Klaviertrio Nr. 1 und die Phantasiestücke op. 88 auf Schallplatte eingespielt haben. Die Aufnahme ist nun 1999 als Compact Disc beim Label Tacet erschienen. Das künstlerische Resultat lässt aufhorchen. Vor allem das d-Moll-Trio wird hier in einer höchst eigenwilligen Lesart geboten. Im ersten Satz bewegen sich die schnellsten Abschnitte zwar ungefähr in dem von Schumann vorgeschriebenen Tempo, im übrigen ist aber ein ständiges Abbremsen und Beschleunigen des Tempos festzustellen. Die Ritardandi beginnen gerne schon etwas zu früh, dabei wird ein »Poco« oft in ein »Molto« umgedeutet. So ergeben sich starke Unterschiede zwischen den vorwärtstreibenden und den verträumten Partien des Satzes. Deutlich hörbar ist im weiteren das Herausstreichen der polyphonen Strukturen, beispielsweise in der Schlussgruppe (T. 41ff.), wo die Violine und das Cello Material aus dem Haupt- und dem Seitenthema anspielen.

Aufhorchen lässt schliesslich der klangliche Reichtum des Ensembles; raffiniert klingt etwa die Episode in der Durchführung (T. 90-98), wo die Streicher am Steg spielen: Das ist Musik aus einer anderen Welt. Auch im zweiten Satz verblüffen die Klangunterschiede zwischen dem Scherzo und dem Trio. Die extremste Deutung erlaubt sich das Ensemble im dritten Satz, »Langsam, mit inniger Empfindung« überschreibt ihn Schumann, fordert aber für die Achtel immerhin 88 Schläge pro Minute. Statt dessen wählt das Trio einen Puls von 66 Schlägen, so daß die Zeit fast stillzustehen scheint. Der Klang in den Rahmenteilen ist zudem derart spröde und »ausdruckslos«, daß es für den Hörer fast nicht mehr zu ertragen ist. Im vierten Satz - »mit Feuer« zu spielen - stimmt das Tempo, aber wir hören nicht ein offen loderndes Feuer, sondern eines, das unter Kontrolle gehalten wird und gelegentlich auch zu erlöschen droht. Es ist klar: Das Abegg Trio führt uns hier Schumann in seiner ganzen Zerrissenheit vor, deutet das Opus von 1847 eigentlich bereits aus der Perspektive des schizophrenen Komponisten von 1853.

Steile Karriere

Der Violinist Ulrich Beetz, die Cellistin Birgit Erichson und der Pianist Gerrit Zitterbart begegneten einander an der Hochschule für Musik und Theater Hannover und schlossen sich dort im Jahr 1976 zu einem Trio zusammen. Es folgte eine steile Karriere mit Auszeichnungen in Colmar, Genf, Bonn, Bordeaux, Hannover und Zwickau, mit Konzertreisen nach Europa und den übrigen Kontinenten und mit Auftritten an verschiedenen Musikfestivals. 1992 bis 1994 gab das Abegg-Trio in der Berliner Philharmonie einen von Presse und Publikum enthusiastisch gefeierten Zyklus. Zusätzlich zur Konzerttätigkeit betreuen Ulrich Beetz und Gerrit Zitterbart als Professoren eine Kammermusik- beziehungsweise Klavierklasse an den Musikhochschulen in Weimar und Hannover. Zu dritt unterrichtet das Abegg-Trio immer wieder an internationalen Meisterkursen. Nach mittlerweile 23jährigem Zusammenspiel in der gleichen Besetzung ist das Ensemble zu einem der »dienstältesten« Klaviertrios geworden - und wird im deutschen Sprachraum nur vom Haydn-Trio Wien und vom Göbel-Trio Berlin übertroffen. Im Jahr 1982 stieg das Abegg-Trio ins Schallplattengeschäft ein. Seit 1998 ist es beim kleinen holländischen Label Tacet unter Vertrag, das vorwiegend Kammermusik zwischen Bach und der klassischen Moderne im Programm führt.

In den letzten beiden Jahren hat Tacet nicht weniger als 20 Compact Discs mit dem Abegg Trio auf den Markt gebracht, den größten Teil als Remakes früherer Produktionen. Die Aufnahmen verteilen sich ziemlich regelmässig auf die letzten fünfzehn Jahre. Den inhaltlichen Schwerpunkt bildet die österreichisch-deutsche Linie der Gattung Klaviertrio in Klassik und Romantik mit Haydn, Mozart, Beethoven, Schubert, Mendelssohn, Schumann und Brahms, von denen (mit Ausnahme von Haydn) jeweils Gesamteinspielungen vorliegen. Der tschechische Raum ist mit Smetana, Dvorák und Janácek, Frankreich mit Debussy und Ravel abgedeckt. Ins neuere 20. Jahrhundert hat sich das Trio erst einmal gewagt, mit einer CD, die Werke von Henze, Acker, Killmayer, Rihm und Erdmann enthält. Gute Noten erhielten die drei Musiker von der Kritikerzunft: Fünfmal bekamen sie den »Preis der deutschen Schallplattenkritik«, Joachim Kaiser bezeichnete 1995 in der »Süddeutschen Zeitung« die erste Schubert-CD als die »Platte des Jahres«.

Das Maß der Klassiker

Woher kommt dieser Erfolg? Die radikale Deutung von Schumanns d-Moll-Klaviertrio erfuhr jedenfalls keine Fortsetzung. Bis zur zweiten Schumann-CD vergingen fünf Jahre. Dazwischen wandte sich das Abegg-Trio den Klassikern zu: Mozart und sämtlichen Klaviertrios von Beethoven. Und damit verbunden ist auch sein Interpretationsstil klassischer, weniger exzentrisch geworden. Wer hätte diese unbeschwerte Leichtigkeit bei Mozart und diesen natürlichen Fluss bei Beethoven erwartet? Beispielhaft für den neuen Stil ist Beethovens berühmtes Erzherzog-Trio. Sorgsam durchdacht wirken die Temporelationen zwischen den einzelnen Sätzen. Das »Allegro moderato« der Ecksätze eilt nicht davon, dafür fliesst das »Andante« ohne Klebrigkeit, und beim Scherzo ist der Puls der ganzen Takte zu hören. Den bei Schumann festgestellten Sinn des Abegg-Trios für klangliche Differenzierungen spürt man natürlich auch bei Beethoven, nur ist er in seiner Radikalität gemildert. Fahl und leise hebt beispielsweise das chromatisch durchsetzte Trio im zweiten Satz an, als Kontrast zum farbigen Scherzo. Keine Unterschiede gibt es in der Behandlung der Nebenstimmen. Auch bei Beethoven widmen die Interpreten der kontrapunktischen Mehrschichtigkeit grösste Aufmerksamkeit, ja gelegentlich kommt sogar eine Nebenstimme deutlicher heraus als ein Thema.

Textgenauigkeit

Mit Willkür hat dies wenig zu tun. Die folgenden Einspielungen, am deutlichsten vielleicht die 1994 und 1998 aufgenommenen Schubert-Trios, zeigen, daß das Abegg-Trio immer stärker auf eine möglichst genaue Deutung des musikalischen Texts, das Ausloten des in der Partitur Niedergeschriebenen, hinzielt. Für die Wiedergabe von Schuberts Es-Dur-Trio haben die Spieler sogar das Autograph beigezogen, und da, wo die Lesarten von der gedruckten Fassung abweichen, halten sie sich an das handschriftliche Original. Die Textgenauigkeit zeigt sich auch im Vergleich mit anderen Ensembles. Hören wir uns den ersten Satz des B-Dur-Klaviertrios in der Aufnahme des Beaux-Arts-Trios aus dem Jahr 1984 an, so begegnen wir einer romantischen, energischen, eigenwilligen und melodiebezogenen Deutung. Beim Abegg-Trio dagegen finden wir mehr rhythmische Stringenz, ein genaues Realisieren der dynamischen Vorschriften und eine bewundernswerte Mehrschichtigkeit der klanglichen Abläufe.

Philologisch interessant ist die Aufnahme von Janáceks Klaviertrio aus dem Jahr 1908; das bis heute verschollene Werk wurde von Michal Hájku nach dem Streichquartett von 1923 rekonstruiert. Bei drei Trio-Sätzen von Mozart handelt es sich um die von Karl Marguerre herausgegebene Ergänzung von Fragmenten. Aufschlussreich ist auch das Anbieten verschiedener Fassungen, wo solche vorhanden sind. So ist der letzte Satz des oben erwähnten Es-Dur-Trios von Schubert

neben der ungekürzten Originalfassung auch in einer vom Komponisten gekürzten zweiten Fassung zu hören. Die spannendste Gegenüberstellung geschieht jedoch bei Brahms' Klaviertrio in H-Dur, das sowohl in der Fassung von 1854 als auch in der Neufassung von 1889 aufgenommen ist. Dadurch kann der Hörer nicht nur den Unterschied zwischen dem episch breiten Jugendwerk und dem kompositorisch gestrafften Meisterwerk wahrnehmen, sondern mit Hilfe der einfühlsamen und kenntnisreichen Erläuterungen von Jan Reichow im Booklet wird ihm auch bewusst gemacht, wie da ein alternder Komponist die literarischen und biographischen Spuren seines Jugendwerks getilgt hat, die zu E. T. A. Hoffmanns Romanfigur des Kapellmeisters Kreisler und zu Robert und Clara Schumann hinführen.

Thomas Schacher