Spontaneität statt Perfektion

FonoForum Mai 1986

Zehn Jahre Abegg Trio

Unspektakulär und mit langem Atem spielte sich das Abegg-Trio in den zehn Jahren seines Bestehens nach vorne: vom Nachwuchs- zum künstlerisch ernst zu nehmenden und eigenständigen Kammermusikensemble. Mit der soeben neu erschienenen Gesamtaufnahme der Mozart-Klaviertrios bei Intercord brauchen die Abeggs internationale Konkurrenz jedenfalls nicht zu scheuen; sie haben ihren eigenen Weg ohne Anbiederung an die Medien gefunden.

Foto der Abegg im FonoForumIm abgeschiedenen Hochtal von Schloß Elmau, wo Bergeinsamkeit und Naturschönheit besonders intensive Begegnungen mit Musik ermöglichen, wo sich um die Neujahrszeit Newcomer, Stars und die Senioren, die sich aus dem Konzertleben zurückgezogen haben, treffen, musizieren und zuhören, gab das Abegg-Trio ein Konzert: Die Resonanz der Fachkollegen war kontrovers; die einen äußerten sich begeistert: „Dem Abegg-Trio gehört die Zukunft", andere mißbilligten seine Mozart- und Beethoven-Interpretation. Das Abegg-Trio provoziert das Publikum zur Auseinandersetzung mit der Musik, spielt keinen Mozart fürs Kaffeekränzchen, keinen geglätteten und beschönigten Brahms. Vielmehr entdeckt es in wohlvertrauten Werken Neues, hütet sich vor Routine: „Beethovens, Geistertrio' war das erste Stück in unserem Repertoire, und wir können es heute noch nicht", bemerkt der Geiger Ulrich Beetz ironisch. Mut zum Risiko zeichnet die Interpretationen des Abegg-Trios aus und erklärt auch die Abneigung der drei Musiker gegenüber falsch verstandener Perfektion: „Das Risiko, daß man zum Beispiel etwas ganz leise spielt - auch auf die Gefahr hin, daß ein Ton kaum zu hören ist oder nur ein Geräusch entsteht - dies verleiht einer Aufführung erst Leben", meint Ulrich Beetz.
Zehn Jahre ist es nun her, daß sich die drei Musiker an der Hochschule von Hannover trafen. Schon beim ersten Ton, den man miteinander spielte, war klar, daß man zusammenbleiben würde. Sofort begannendie Abegg-Leute ein Repertoire zu erarbeiten, und bereits 1977, ein Jahr später, gewannen sie bei den Wettbewerben von Colmar und Genf Preise. Dieser schnelle Start war nur möglich, weil alle drei schon zuvor Kammermusikerfahrung gesammelt hatten. Ein so schnelles musikalisches Verstehen stellt sich wohl auch dann ein, wenn man demselben Musikertyp angehört. Sie waren keine Wunderkinder, besuchten das Gymnasium und entschlossen sich erst kurz vor dem Abitur zum Musikstudium. Die Abeggs betreiben also Musik vor dem Hintergrund eines breiten Allgemeinwissens. Die technische Perfektion, obwohl vorhanden, ist kein Selbstzweck, sondern ein Mittel zu neuen musikalischen Entdeckungen.

Profunde Ausbildung

Foto der Abeggs im FonoForumDer Geiger des Trios, Ulrich Beetz, wurde von der historischen Aufführungspraxis geprägt: Er studierte bei Franzjosef Maier und wirkt noch heute, auf der Barockgeige spielend, im Collegium Aureum mit. Wolfgang Schneiderhan und Werner Heutling vervollkommneten seine Ausbildung. Birgit Erichson begann mit sechs Jahren auf dem Klavier und nahm erst mit 15 ein Cello in die Hand. Dennoch bestand sie die Aufnahmeprüfung an der Kölner Hochschule, wo sie bei Klaus Storck studierte; den cellistischen Feinschliff erhielt sie in den USA bei Janos Starker und in München bei Enrico Mainardi. Gerrit Zitterbart wurde von Freunden ermutigt, sich professionell dem Klavier zu widmen. Erika Haase, Karl Engel sowie Hans Leygraf und Stefan Askenase waren seine Lehrer.
Alle drei studierten bei hervorragenden Interpreten. Dennoch besaßen sie genug innere Unabhängigkeit, ihren eigenen Stil zu finden. So lehnt es Ulrich Beetz trotz seiner Erfahrungen auf der Barockgeige ab, puristisch Hammerflügel, Barockgeige und -Violoncello bei Haydn- und Mozart-Klaviertrios einzusetzen. Das würde das Repertoire zu sehr einschränken. Aber dennoch war Harnoncourts und Hogwoods Stil zu musizieren eine entscheidende Ermutigung. Das Abegg-Trio fand damit zu seinem eigenen interpretatorischen Konzept: Es beabsichtigt, auf den neuen Instrumenten die alten Phrasierungen zu verwirklichen und das alte Klangbild auf die neuen Instrumente zu übersetzen.

Das Klaviertrio als homogenes Ensemble

„Klaviertrio" ist als Kammermusikensemble relativ heikel, weil es nicht die Homogenität etwa eines Streichquartetts hat. Vielmehr wirkt das Klavier häufig als Fremdkörper. Zwei Interpretationsansätze sind möglich: konzertant zu spielen, also das solistische Hervortreten der einzelnen Instrumentezu betonen, oder Homogenität anzustreben. Das Abegg-Trio entschied sich für das letztere. „Klaviertrio" bedeutet für die drei Musiker, bisher kaum beachtete klangliche Abschattierungen hervorzuzaubern. Dies gelingt ihnen auch bei Mozart, wie die neuerschienene Gesamteinspielung erweist. Selbst Stellen, in denen Klavier und Violine unisono geführt sind, wirken bei ihnen klanglich interessant: genau ausbalancierte Mischklänge entstehen.
Gerrit Zitterbart ist sich der besonderen Probleme eines so verstandenen Klaviertrio-Spiels durchaus bewußt. Um Homogenität zwischen Klavier und Streichern zu erreichen, wird eine besonders sensible Anschlagskultur notwendig. Bei der Mozart-Einspielung bezog er die Besonderheiten des alten Hammerflügels in seine Interpretation mit ein: „Beim Hammerflügel sind die Klänge wesentlich länger, weil die Dämpfung viel schlechter als bei einem modernen Flügel ist. Im Grund besteht immer eine Art Pedaleffekt. Deshalb finde ich pedalloses Mozart-Spiel nicht richtig. Man muß es aber so einsetzen, daß die Struktur nicht verdeckt wird." Doch nicht allein um Klangschönheit geht es dem Abegg-Trio. Bei den Mozart-Stücken gelingt es den Musikern, vom Hörbild des vergangenen Jahrhunderts wegzukommen. Mozarts Musik wirkt so viel gewichtiger. Jede Begleitfigur erhält nun plötzlich musikalisches Gewicht. Schroffe Kontraste, ein Herausstellen von Rhythmen und Klängen, das gegenüber dem konventionellen Klassik-Spiel ungewohnt rauh wirkt - dies alles eröffnet einen neuen Weg zu Mozart. Die Charaktere der einzelnen Klaviertrios und der einzelnen Sätze werden deutlich voneinander unterschieden. „Mozart kommt sehr stark von der Oper her. Wenn wir die Klaviertrios eher opernmäßig auffassen, also als dramatische plastische Musik, so wirken sie sehr sprechend, sehr aktiv", betont Birgit Erichson.

Engagement für zeitgenössische Komponisten

Das Repertoire des Abegg-Trios ist weit gefächert. Die Schallplatteneinspielungen reichen von Mozart über Schumann, Brahms bis Ravel und Killmayer. Hierbei überrascht die stilistische Flexibilität: Klangliches Raffinement bei Ravel liegt dem Abegg-Trio ebenso wie das von verschiedensten Stimmungen hin- und hergerissene Schumann-Trio oder das Aufblühen zu gleichsam sinfonischer Breite im c-Dur-Trio von Brahms. Die drei Künstler widmen sich auch unbekannten Komponisten. So gruben sie beispielsweise die hörenswerten Trios von Fanny Hensel aus, der Schwester Mendelssohns, oder die von Herrmann Goetz und Bernard Molique. Mit großem Engagement setzt man sich allerdings auch für zeitgenössische Komponistenwie Acker und Rihm ein. Auch hinsichtlich des Repertoires kennt das Abegg-Triokeine Routine. Bei einer großen USA-Tournee mit 22 Konzerten an 24 Tagen hatte man z.B. immerhin 15 Werke im „Gepäck", von denen jedes durchschnittlich nicht mehr als dreimal erklang.

Wettbewerbe, Preise,  Schallplatten

Wettbewerbe und vor allem die Schallplatte förderten die Karriere des Abegg-Trios. Die größere Öffentlichkeit der Schallplatte und die guten Rezensionen, die das Abegg-Trio erhielt, führten zu mehr und besseren Konzertangeboten. Inzwischen spielte das Trio in der Alten Oper Frankfurt, in Hamburg, Bonn, Düsseldorfund München. Als besonders glücklich empfinden die Künstler die Zusammenarbeit mit der Schallplattenfirma Intercord. Dort gibt man ihnen nämlich dieChance, die großen Werke der Klaviertrio-Literatur einzuspielen und sich so der Konkurrenz der anderen bedeutenden Ensembles zu stellen. Nach der nun erschienenen Mozart-Kassette ist für die kommenden zwei Jahre die Gesamtaufnahme der Beethoven-Klaviertrios geplant. Die Arbeitsbedingungen sind bei Intercord geradezu ideal, weil ein engagiertes Aufnahme-Team auch auf die künstlerische Konzeption eingeht. Vor allem besteht keine sterile Studioatmosphäre: Kritik und auch Begeisterung werden geäußert, das fehlende Publikum gleichsam ersetzt. Und am Schluß, wenn das ganze Werk bereits befriedigend aufgenommen ist, spielt das Abegg-Trio ohne Angst vor Schallplattenperfektion eine „Risikofassung", die dann tatsächlich häufig verwendet wird. Auch in den Schallplatteneinspielungen bewahren sich die drei Künstler also etwas von der Spontaneität, die ihr Spiel im Konzertsaal auszeichnet. Festgelegt wird von ihnen bei der Probenarbeit nur das Konzept. Tempi und Dynamik verändern sich von Konzert zu Konzert. Hier liegt die Spannung des Abends, hier liegt die Möglichkeit, je nach eigener Stimmung und Tagesform Letztes und Äußerstes an Intensität aus den Instrumenten herauszulocken.

Fotos: Werner Neumeister, Intercord